Das schnelle Kennenlernen per App bietet zwar viele Vorteile, kann die Psyche aber auch negativ beeinträchtigen, sofern Nutzer:innen nicht sehr bewusst damit umgehen. In diesem Artikel gehen wir dem Thema auf den Grund und untersuchen, wie Online-Dating die mentale Gesundheit sowohl positiv als auch negativ beeinflussen kann.
Inhaltsverzeichnis
Dating – früher und heute
Von romantischen Gesten im Mittelalter zu schnellen Swipes auf Tinder – die Art und Weise, wie Menschen sich begegnen und verlieben, hat sich im Laufe der Jahrhunderte grundlegend verändert. Nicht, dass romantische Geste ein Phänomen der Vergangenheit sind, sondern eher, dass das traditionelle Werben um einen Partner oder eine Partnerin, das sich früher über Wochen, vielleicht sogar Monate, ziehen konnte – und im Übrigen eine Angelegenheit der ganzen Familie war – heute durch eine einzige Bewegung mit dem Daumen ersetzt worden ist bzw. werden kann.
Die zeitlichen und räumlichen Grenzen, die das soziale Leben jahrzentelang definierten, gelten nicht mehr, sondern, Kontakte können heute per App in Sekundenschnelle geknüpft oder umgekehrt abgelehnt werden, ohne dass ein physisches Treffen überhaupt stattgefunden hat. Diese Unverbindlichkeit stellt natürlich neue und zum Teil sehr hohe Ansprüche an die Performance (und die Psyche) der Nutzer*innen, die ständig von potentiellen Partnern gewogen und gemessen werden. Trifft der erste Eindruck nicht ins Schwarze, wird weitergewischt.
Umgekehrt stellt Online-Dating auch eine einzigartige Möglichkeit dar, das eigene Netzwerk zu erweitern – und ist in vieler Hinsicht eine sehr positive Ergänzung zum sozialen Leben, was unter anderem während der Corona-Pandemie deutlich wurde, als physische Treffen nicht mehr möglich waren. Auch kann Online-Dating positive Folgen für das Selbstwertgefühl haben, sofern Nutzer*innen positives Feedback bekommen und echte Verbindungen etablieren können, wie eine 2024 erschienene Studie zum psychischen Wohlbefinden der Nutzer*innen von Dating-Apps zeigt.
In diesem Artikel gehen wir dem Thema auf den Grund und versuchen unter Einbeziehung relevanter Studien und entsprechender Experten zu beantworten, wie Online-Dating das mentale Wohlbefinden negativ wie auch positiv beeinflussen kann – und wie User*innen dieser Services Strategien entwickeln können, um das Beste aus ihren Erfahrungen zu machen.
Bevor wir uns den Hauptfragen des Artikels widmen, möchten wir die Fakten bzw. Zahlen zum Online-Dating jedoch kurz dazulegen:
Die statistische Grundlage
Die Digitalisierung hat die Art und Weise, wie Menschen sich kennenlernen und kommunizieren, grundlegend verändert. Wo früher meist ein sozialer Bezug wie der Arbeitsplatz, gemeinsame Freunde oder die Uni beim Kennenlernen gegeben war, ist heute nur ein Smartphone mit Internetzugang nötig, um neue Kontakte zu knüpfen.
Diese Entwicklung spiegelt sich natürlich auch in den Statistiken wieder: Laut einer Umfrage in Deutschland im Jahr 2024 lernen sich Paare am häufigsten über Dating-Apps kennen: Rund 21 % der Befragten haben ihre Partnersuche über das Internet oder eine Dating-App erfolgreich beendet. An zweiter Stelle kam mit 18 % der Arbeitsplatz. In einer weiteren Umfrage der Statista-Datenbank gaben 29 % der Deutschen an, bereits auf Dating-Apps aktiv gewesen zu sein; also insgesamt fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung.
Weitere Statistiken bestätigen, dass Dating-Apps vor allem unter jungen Leuten beliebt sind: Eine Umfrage aus dem Jahr 2024 ergab, dass rund 50 % der 25- bis 34-Jährigen in Deutschland schon einmal Dating-Apps verwendet haben. Von den 30- bis 49-Jährigen gaben rund 38 % an, Dating-Apps bereits genutzt zu haben, und unter den Befragten über 55 Jahren waren es immerhin 15 %.
Welche App ist beliebter?
Laut Statista war Tinder im Jahr 2024 der beliebteste Online-Dating-Anbieter mit einem Nutzeranteil von 41 %. Jeweils rund ein Drittel der Befragten verwendete zudem Lovoo und Badoo.
Dass Dating-Apps ein integrierter Teil des sozialen Lebens anno 2025 sind, ist also keine übertriebene Aussage – und es ist auch nicht schwer zu verstehen, warum diese Plattformen beliebt sind. Dating-Apps machen die Partnersuche omnipräsent, sparen Zeit und machen einen – offline nicht so leicht erfahrbaren – riesigen Dating-Pool auf, wo es Wahlmöglichkeiten für jeden gebe, erklärt Soziologin und Autorin Andia Bothe zu DatingXperten.
„Um Online-Dating zu betreiben, muss man zudem zumeist weder viel Zeit, noch viel Geld investieren,“ sagt sie und fährt fort: „Man kann sich vorab online kennenlernen, muss nicht gleich ein aufwändiges Date planen, sich dafür lange vorbereiten, Blumen kaufen und pünktlich irgendwo erscheinen, sondern kann bequem in seinem Bett liegen, auf dem Pendelweg oder in der Mittagspause matchen, schreiben, sich kennenlernen.“
Zeit gilt vor allem heute als knappe und wertvolle Ressource und Dating-Apps werden dementsprechend als vorteilhafte Wahl wahrgenommen, weil sie uns eben ermöglichen, effizient zu daten. Aber wie beeinflusst das schnelle Kennenlernen online bzw. die immense Auswahl an Partnern die (Qualität der) Partnersuche und auch unsere Beziehungsfähigkeit? Dazu haben wir Soziologin Andia Bothe natürlich auch gefragt. Zunächst aber ein wenig Hintergrundwissen bzw. aktuelle Forschung.
Es geht nicht unbedingt um Kompatibilität
Die Partnersuche über gängige standortbasierte Dating-Apps wie Tinder und Bumble basiert auf wenigen basalen Kriterien wie Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung und Standort samt ein Profilbild. Dementsprechend werden alle Personen innerhalb einer manuell ausgewählten Maximalentfernung vorgeschlagen und es entsteht eine enorme Auswahl an möglichen Partnern, die sich vor allem über geographische Verfügbarkeit auszeichnen.
Mobile Dating-Apps versprechen damit unmittelbaren Zugriff auf scheinbar endlose Möglichkeiten von Abenteuer und Intimität, wie Sozialpsychologin an der Universität Flensburg, Johanna L. Degen, in ihrem 2024 erschienenen Buch Swipe, like, love hervorhebt. Dabei geht es den Nutzer:innen jedoch nicht unbedingt um die Suche nach einer lebenslangen Liebe bzw. sexuellen Kontakten, sondern, vielmehr steht das Verlangen im Vordergrund, „etwas zu empfinden, sich berührt und wahrgenommen zu fühlen sowie das Selbst als einzigartig zu erleben“ (Degen, 2024: 17).
Üblicherweise wird vom Swipen nicht aufs Chatten gewechselt, so Johanna L. Degen, „sondern erst einmal weiter geswiped, bis einige Matches entstehen oder die Motivation schwindet und Frust entsteht“ (Degen, 2024: 20). Sie weist auch darauf hin, dass Frauen und Männer im heterosexuellen Setting dabei unterschiedliche Strategien anwenden: Während Männer toleranter swipen, sind Frauen selektiver. Beide Gruppen swipen aber seriell, zügig und in Sessions, reihen also viele Entscheidungen aneinander – und entscheiden erst im Anschluss, mit wem Kontakt aufgenommen wird.
Die größte Rolle spielen dabei die letzten fünf Matches, die im sichtbaren Feld der App aufgereiht werden. Das Sammeln von Matches hat Degen zufolge daher wahrscheinlich eher eine andere und eigene Bedeutung:
„Es mag der quantifizierten Validierung oder Verteilung von Risiko dienen oder deutet auf die befriedigende (…) rhythmische Swipepraxis hin, bei der es nicht immer vorrangig um das Finden eines guten Matches geht, sondern um das Swipen und Sammeln von Matches an sich zu gehen scheint.“ (Degen, 2024: 21)
Auch Andia Bothe pointiert DatingXperten gegenüber, dass es durch die immense Auswahl an Partnern zu einer Selbsterhöhung kommen kann, etwa, wieso sollte ich diese Person nehmen, wenn noch 999 andere Matches auf mich warten?
Viele Singles suchen nicht nach Kompatibilität, so Bothe, „sondern dem besten Partner für sich. Das Prinzip der Gesundheit (etwas ist gut) ist dem Prinzip der Fitness (es geht noch besser) ein Stück weit gewichen und manchmal bedeutet dies auch nichts Gutes für aufkeimende Beziehungen, da die Loyalität dem Selbst gegenüber an die Stelle der Loyalität dem Partner gegenüber getreten ist.“
Eine weitere, wichtige Pointe der Soziologin ist, dass sich beim Online-Dating potentielle Partner kennenlernen, die nicht sonderlich homogen sind, sondern in verschiedenen sozialen, beruflichen und kulturellen Bereichen bewegen. „Das kann einerseits die Vielfalt erhöhen, andererseits die Verbindungen aber auch etwas instabiler machen,“ erläutert sie zu DatingXperten.
Nichtsdestotrotz gibt es Bothe zufolge auch für die moderne Liebe sehr viel Hoffnung. Wichtig sei nur, sich zunächst klar damit auseinanderzusetzen, was man beim Online-Dating suche und welche Menschen mit dem eigenen Lebensstil und der eigenen Persönlichkeit kompatibel seien.
Graben wir aber noch einen Spatenstich tiefer, denn was macht es eigentlich mit der Psyche, auf wenige Attribute samt ein Foto reduziert und von potentiellen Partnern ständig gemessen und gewogen zu werden – und andere umgekehrt auch selbst in Sekundentakt zu beurteilen? Um diese Frage möglichst nuanciert zu beantworten, stützen wir uns auf zwei für diesen Zweck durchgeführte Interviews mit Psychologin und Love-Coach, Stella Schultner, bzw. Psychologe, Dating-Coach und Gründer des Portals Gleichklang.de, Guido F. Gebauer, sowie die umfangreiche Forschung von Sozialpsychologin an der Universität Flensburg, Johanna L. Degen.
Wie beeinflusst das schnelle Kennenlernen per App die Psyche?
Ein Großteil der meistgenutzten, klassischen Dating-Apps basiert auf demselben Prinzip: Ein Swipe nach links, ein Swipe nach rechts – je nachdem, ob man das Profil ansprechend findet. Dabei bekommt man allerdings oft wie bereits beschrieben nur ein Foto samt einzelne Schlüsselinformationen des Gegenübers zu Gesicht, was Psychologin Stella Schulter zufolge ungünstig sein kann, weil kein Mensch in wenigen Sekunden erfassbar ist.
„Wenn ich nur ein Bild sehe, fehlen viele Informationen, die den Menschen wirklich ausmachen,“ erklärt sie zu DatingXperten. „Gerade Frauen werden dadurch oft wählerischer. Nicht, weil sie zu hohe Ansprüche haben, sondern weil sie nur einen Bruchteil an Informationen haben, die sie eigentlich bräuchten.“
Auch Johanna L. Degen problematisiert in ihrem Buch (2024), dass die Entscheidung, ob jemand wert kennenzulernen ist, innerhalb weniger Sekunden auf Basis des Profilbildes getroffen wird, während weitere Informationen in den Hintergrund treten – und dass Subjekte sich bei der Profilerstellung dementsprechend ständig in einem Limbo zwischen optimierter Darstellung – einschließlich der Verwendung von Filtern, vorteilhaften Bildern, sorgfältig ausgewählten Texten etc. – die zu unmittelbarer Belohnung in Form von Likes führt, und realistischer Selbstdarstellung, die viel weniger Stress ist, befinden.
Ein gewisses Maß an Optimierung ist zwar kollektiv und implizit akzeptiert; je mehr aber optimiert wird, desto größer ist auch der Stress, wenn es zum Treffen kommen soll, weil man mit dieser optimierten und idealisierten Version von sich als Identität und beim Date dann auch damit konfrontiert wird, die mögliche Enttäuschung des anderen zu erleben (Degen, 2024: 18).
Als Grund für den Optimierungsdrang vermutet Degen (auch) den Vergleich mit einer unsichtbaren und oft idealisierten Konkurrenz. Während man die Konkurrenz in einer Bar und anderen sozialen Settings wahrnehmen und sich dementsprechend sozial positionieren kann, sieht man beim Online-Dating nur die optimierten Profile, nicht die ganze Person, und auch nicht, wer ihr oder ihm sonst noch von der App angezeigt wird (Degen, 2024: 38).
Der Fokus vieler Dating-Apps auf Äußerlichkeiten kann Psychologe Guido F. Gebauer zufolge, der ebenfalls als Dating-Coach tätig ist und das Buch A Perfect Match? Online-Partnersuche aus psychologischer Sicht (2022) geschrieben hat, dazu führen, dass Menschen sich selbst und andere als „Objekte“ wahrnehmen.
„In der Psychologie wird hier von Objektifizierung und Selbstobjektifizierung gesprochen. Studien zeigen, dass dies zu Unsicherheit, Körperbildproblemen und Selbstzweifeln führen kann,“ sagt er zu DatingXperten und fährt fort: „Gleichzeitig fördern ständige Schnellurteile über andere eine distanziert-zynische Haltung, die einer echten Beziehungsentstehung wiederum im Weg stehen kann.“
Durch die große Auswahl an Partnern werden viele Nutzer:innen laut Gebauer nicht nur kritischer, sondern auch unzufriedener: „Das Gefühl, niemand passe wirklich, nimmt zu.“
Gleichzeitig kann auch eine hohe Anzahl an Matches Johanna L. Degen zufolge überfordern, denn je mehr Optionen sichtbar werden, desto härter wird selektiert und desto negativer wird bewertet. Das Sammeln von Matches bringt aber noch weitere Herausforderungen mit sich: Viele Nutzer:innen bekommen ein schlechtes Gewissen, „wenn sie Chatanfragen nicht oder nur standardisiert, nebenbei, verkürzt oder verzögert antworten oder Matches wieder auflösen,“ argumentiert sie und fährt fort:
„[Nutzer:innen] kommen dann in der Lage, dass sie das eigene soziale Verhalten nicht mit ihrem antizipierten Selbstbild zusammenbringen können. Sie möchten keine Enttäuschungen verursachen und prinzipiell lieber allen gerecht werden. Da das bei gleichzeitigem Beibehalten der Swipegewohnheiten nicht umsetzbar ist, zeigen sich Dissonanzen zwischen dem eigenen Anspruch und dem gezeigten Verhalten anderen gegenüber. In Bezug auf sich selbst entsteht gleichzeitig auch Stress, dass Chancen durchrutschen könnten, etwas übersehen oder verpasst wird.“ (Degen, 2024: 43)
Umgekehrt können wenige oder gar keine Matches natürlich auch negative Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl haben, ebenso wie Ghosting oder Ablehnung psychisch belasten können – weil dadurch eindeutig kommuniziert wird, es bestehe kein Interesse. Besonders betroffen sind laut Guido F. Gebauer Menschen mit instabilem Selbstbild und emotionaler Labilität. „Intensives Swipen kann diese möglichen negativen Effekte verstärken“, betont er DatingXperten gegenüber.
Unterstützung bekommt er von Stella Schultner: „Ob und wie uns Dating-Apps psychisch beeinflussen, hängt sehr stark von unserer inneren Stabilität, unserem Selbstwertgefühl und unserer Resilienz ab. Wenn wir uns selbst gerade nicht sicher fühlen, kann es sehr schmerzhaft sein, das Gefühl zu haben, bewertet zu werden und nicht zu genügen.“ Daher gilt es Schultner zufolge, bewusst zu swipen – auch, um Dating-Burnout zu vermeiden.
Dating-Burnout – und wie man ihn vermeidet
Laut einer im Mai 2024 erschienenen Studie von Dr. Wera Aretz, Psychologie-Professorin an der Hochschule Fresenius in Köln, leiden nicht weniger als 14 % der Nutzer:innen von Dating-Apps unter Burnout-ähnlichen Symptomen. Umgerechnet auf die Zahl derjenigen, die die Angebote nutzen, könnte das Problem inzwischen über drei Millionen Menschen betreffen (Aretz, 2024: 23).
Die Studie ist die erste ihrer Art in Deutschland und beschreibt, wie unter anderem ein geringes Selbstwertgefühl, Bindungsangst, Gefühle der Erfolglosigkeit, Monotonie und Eintönigkeit samt eine negative Kosten-Nutzen-Bilanz an der Entstehung von Dating-Burnout beteiligt sein können. Die Symptome sind in vieler Hinsicht mit einem klassischen Burnout vergleichbar; Gleichgültigkeit, emotionale Erschöpfung und verringerte Leistungseinschätzung, entstehen aber nicht im Arbeitskontext, sondern in Folge von anhaltendem Stress und Frust beim Online-Dating (Aretz, 2024: 26).
Auch Johanna L. Degen spricht in ihrem Buch (2024) von „Tinder-Fatigue“ (55), die unter anderem durch verzerrte Selbstdarstellung, Erfolgsdruck, Überforderung durch viele Wahlmöglichkeiten und das hohe Maß an Unverbindlichkeit, das (Online-)Dating heutzutage kennzeichnet, entstehen kann. Was am Anfang unterhaltsam und aufregend ist, wird binnen weniger Wochen als ermüdend, frustrierend, inhaltslos, repetitiv und leer beschrieben – vor allem dann, wenn mehr Zeit online als eigentlich geplant und gewollt verbracht und zu wenig auf das Selbst geachtet wird (Degen, 2024: 54).
Eine weitere, wesentliche Pointe der Sozialpsychologin ist, dass Online-Dating oft ohne positiven Spillover-Effekt kommt:
„Während man offline erfolglos daten kann, dabei aber beispielsweise Konzerte besucht, Nächte durchtanzt, auf Reisen geht, den Sonnenaufgang beobachtet, mit Freundinnen und Freunden lacht und vielleicht neue findet – sich insgesamt also das Leben aneignet […] – ist der Prozess des Swipens und Chattens in der Regel keine erfüllende Aktivität, zumindest nicht nach den ersten, aufregenden Wochen. […] Prägnant formuliert: Kaum jemand hat einen erinnerungswürdigen Abend, alleine auf dem Sofa, mit der Dating-App in der Hand.“ (Degen, 2024: 41)
Wie vermeidet man aber, dass Online-Dating eine negative Erfahrung wird bzw. zu einer erschöpften und negativen Haltung führt, die einem Burnout ähnelt?
Zunächst gilt es Guido F. Gebauer zufolge, bewusste Pausen einzulegen, die Nutzung der App zu reduzieren und realistische Erwartungen zu haben. Auch Psychologin Stella Schultner weist darauf hin, Dating-Burnout entstehe oft, wenn wir den gesamten Fokus auf das Ziel richten und die Leichtigkeit und Neugier dabei verlieren. „Was wirklich hilft, ist eine innere Haltung der Neugier,“ betont sie und erläutert:
„Nicht jede Begegnung muss in eine Beziehung führen. Man darf Menschen einfach kennenlernen, ohne sofort zu bewerten, ob sie ‚potenziell passen‘. Wenn man sich selbst immer wieder daran erinnert, dass man vollständig und wertvoll ist, egal wie es gerade läuft, kann Dating ein Prozess sein, der sogar Spaß macht. Ein Weg, auf dem man über sich selbst lernt, nicht ein Ort, an dem man sich beweisen muss. Und natürlich ist es auch ok, sich abzumelden und eine Pause zu machen.“
Gebauer fordert ebenfalls dazu auf, sich auf bestätigte Matches zu konzentrieren statt endlos weiterzuswipen und sich daran zu erinnern, dass Online-Dating nur eine Möglichkeit darstellt:
„Prävention gelingt durch bewusste Pausen, realistische Erwartungen und reduzierte Nutzung. Auch der Fokus auf wenige Kontakte statt Dauer-Swiping kann helfen, Burnout zu vermeiden. Sehr wichtig ist es zudem, dass Nutzer:innen die Dating-Apps nicht als Ersatz für Offline-Kontakte verwenden, sondern als Instrument, um ihr soziales Netzwerk zu vertiefen,“ sagt er zu DatingXperten.
Wenn es vielen scheinbar trotzdem schwer fällt, sich abzumelden und eine Pause einzulegen, hängt es Johanna L. Degen zufolge damit zusammen, dass Online-Dating als alternativlos wahrgenommen wird. Wie die Statistiken auch bestätigen, lernen sich die meisten Paare heutzutage über Dating-Apps kennen – und dazu schwingen noch urbane Mythen im Hintergrund. „Jeder und jede kennt mindestens ein glückliches Tinder- oder Grindr-Pärchen und sicherlich auch ein Tinderbaby, und wenn nicht, dann kennt man zumindest Geschichten davon“ (Degen, 2024: 61).
Es gibt auch Positives zu berichten
Bisher hört sich alles zwar ziemlich negativ und sinnlos an, aber Online-Dating ist tatsächlich nicht so aussichtslos, wie es oft porträtiert wird, sondern kann auch eine sehr positive Erfahrung sein und das Selbstwertgefühl der Nutzer:innen sogar stärken. Das bestätigt nicht nur Psychologin Stella Schultner DatingXperten gegenüber, sondern auch verschiedene Studien.
So gaben etwa 47 % der Befragten in einer Studie aus den Philippinen an, ein Boost des Selbstwertgefühls durch positive Interaktionen mit anderen Usern erlebt zu haben. Weitere 53 % der Befragten hatten positive Erfahrungen damit gemacht, sich ihren Unsicherheiten zu stellen und ihre Stärken zu identifizieren – denn ebenso wie die (optimierte) Selbstdarstellung im Netz Stress bereiten kann, ermöglichen Dating-Apps und weitere, digitale Plattformen auch, mit der Selbstdarstellung auf eine Art und Weise zu experimentieren, die neues Selbstbewusstsein fördern kann (Blanco et al., 2024: 86).
Auch Guido F. Gebauer pointiert, dass das digitale Format Menschen helfen können, sich zu öffnen und soziale Sicherheit zu gewinnen – und dass Online-Dating für viele Gruppen in der Bevölkerung ein Safe-Space darstelle:
„Online-Dating kann außerdem manche Menschen unterstützen, ihre Sexualität und ihre Beziehungswünsche zu explorieren und alternative Erlebensweisen zu entdecken. Eine besonders große Bedeutsamkeit hat das Online-Dating außerdem für die LGBTQ+-Community, deren Mitglieder oft online an ihrer Identitätsbindung und Vernetzung arbeiten.“
Auch Stella Schultner sieht im Online-Dating viele Vorteile, sofern man eben bewusst damit umgeht:
„Man kann durch schöne Begegnungen neue, positive Erfahrungen machen, die das Vertrauen in sich selbst und in andere stärken. Man erlebt Bestätigung, wird mutiger, offener und lernt, sich zu zeigen,“ sagt sie und fährt fort: „Gleichzeitig ist Online-Dating auch eine Chance, Grenzen zu setzen, Nein zu sagen und klarer zu spüren, was man will und was nicht. Gerade diese Erfahrungen können unglaublich stärkend sein.“
Erfolgreich daten – ohne die mentale Gesundheit zu belasten
Wie datet man erfolgreich, ohne die mentale Gesundheit zu belasten? Laut den Experten geht es vor allen Dingen darum, ein Gleichgewicht zwischen online und offline zu finden, Pausen einzulegen und sein Leben auch mit anderen Aktivitäten zu füllen. Online-Dating ist in erster Linie als eine Ergänzung zum sozialen Leben zu betrachten. Erheblich ist außerdem, sich authentisch zu zeigen und auf seine Ressourcen zu achten; nicht nur, um den damit verbundenen Stress zu vermeiden, eine idealisierte Version von sich hinterherzujagen, sondern laut Gudio F. Gebauer auch, um tiefere und erfüllendere Kontakte zu erleben, die positiv zum Selbstwertgefühl beitragen.
Wie Johanna L. Degen betont auch Gebauer die Wichtigkeit darin, nicht Opfer des Choice-Overloads oder des Rejection-Mindsets zu werden, nicht zuletzt, um einen Burnout zu vermeiden.
„Entscheidend ist, jeden einzelnen Kontakt ernst zu nehmen und sofort mit weiterer Sichtung von Kontakten und Anschreiben aufzuhören, wenn ein Kontakt sich vertieft,“ erläutert er zu DatingXperten und fährt fort: „Wenn Nutzer:innen dieses Dating-Schema selbstdiszipliniert durchhalten, können sie die negativen Potenziale von Dating-Apps minimieren und das Potenzial zum Aufbau werthaltiger Beziehungen maximieren.“
Wichtige Punkte in der Übersicht
Online-Dating öffnet neue Wege der Partnersuche und stellt in vieler Hinsicht eine positive Ergänzung zum sozialen Leben dar, vor allem für marginalisierte Personengruppen oder Menschen, die in ländlichen Regionen wohnen. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass mobiles Online-Dating auch eine Industrie ist: Für die Anbieter gilt es, Nutzer:innen der Apps online zu halten.
Damit die Psyche nicht darunter leidet und sich kein suchtähnliches Verhalten entwickelt, gilt es den Experten zufolge, folgende Tipps zu beachten:
- Setze dich damit auseinander, was du beim Online-Dating suchst bzw. welche Menschen mit deinem Lebensstil und deiner Persönlichkeit kompatibel sind.
- Zeige dich authentisch, nicht nur, um den Stress zu vermeiden, mit einer idealisierten und unrealistischen Version von dir konfrontiert zu werden, sondern auch, um tiefere und erfüllendere Kontakte zu erleben.
- Achte auf deine Ressourcen. Wenn du dich (mental) nicht gut oder erschöpft fühlst, dann ist es vermutlich auch nicht der richtige Zeitpunkt, dich ins Online-Dating zu stürzen.
- Swipe bewusst und nehme jeden einzelnen Kontakt ernst. Wenn sich ein Kontakt vertieft, dann höre mit weiterer Sichtung von Kontakten auf, bis du diesen Kontakt erkundet hast.
- Lege bewusste Pausen ein und reduziere die Nutzung, damit es zu keinem suchtähnlichen Verhalten oder gar einem Dating-Burnout kommt.
- Überlege, was dir das Leben abseits einer potentiellen Beziehung bietet. Was sind die positive Aspekte in deinem Leben?
- Fülle dein Leben auch mit anderen, erfüllenden Aktivitäten.
- Bewahre die Leichtigkeit und die Neugier.
- Erinnere dich daran, dass du letztendlich nicht kontrollieren kann, ob du bei jemanden gut ankommst oder nicht.
Danke an
Quellen
- Aretz, W. (2024). Hate to date? Eine explorative Studie zum Burnout-Syndrom im Dating-Kontext. Journal of Business and Media Psychology, 13 (1), 13-38.
- Blanco et. al (2024). The Self-Esteem, Loneliness, and Psychological Well-Being of Online App Users: A Mixed Method Study. Psychology and Education, 22 (1), 82-107.
- Degen, Johanna L. (2024). Swipe, like, love: Intimität und Beziehung im digitalen Zeitalter. Gießen: Psychosozial-Verlag.